Wenn sich an einem Samstagmorgen im Frühsommer
die besten Kräfte des SC Frankfurt-West versammeln, dann ist es wieder
soweit - die letzte Bewährungsprobe der Saison steht bevor: das Schachwochenende
in Schollbrunn im Spessart.
Mit nur 11 Teilnehmern haben wir in diesem Jahr zwar eine recht kleine, dafür
aber um so hochkarätigere Gruppe beisammen. Vielleicht hat die letztjährige
Berichterstattung, mit ihrer starken Betonung der sportlichen Höchstleistungen,
den ein oder anderen verschreckt?!
Vor unserem neuen Domizil, der Stadthalle Zeilsheim, warten wir noch auf Rudi,
der dann aber pünktlich von seiner treusorgenden Ehefrau angeliefert wird.
Damit er in den zu erwartenden Wirren nicht verlorengeht, hat sie ihm ein rotes
Käppie verpaßt.
Während der Anfahrt zu unserer Wettkampfstätte, dem Gasthof „Zur
Sonne“, läßt sich schon am Fahrstil die innere Verfassung der
Kämpfer ablesen. An der Spitze unser Präsident Hans-Walter (HWS) -
vormals 1.Vorsitzender - der mit einem neuen Streckenrekord gleich klarmacht,
wie ernst ihm die Sache diesmal ist. Titelverteidiger Ferdi läßt
es dagegen ruhig angehen, der erfahrene Stratege weiß, wann er zuschlagen
muß.
Am Zielort angekommen, herrscht schon bald nach dem herzlichen
Empfang durch Familie Haas gespannte Vorfreude, denn jetzt werden die beiden
Mannschaften „Sonne“ und „Kartause“ gebildet. Vereinsmeister
Ferdi, dem in der abgelaufenen Saison so ziemlich alles gelungen ist, demonstriert
sein Selbstvertrauen, indem er freiwillig als Kapitän der „Kartause“
antritt, obwohl Mannschaften mit diesem Namen bisher immer den Kürzeren
zogen! Allerdings hat die „Sonne“ in diesem Jahr mit Ulli einen
Mannschaftsführer, der in einem Formtief steckt und erst am Vorabend von
Ferdi erwartungsgemäß aus dem Vereinspokal geworfen wurde.
Nach drei von vier Runden (15-Min.-Partien) steht der Kampf 7,5:7,5 - reißt
die Serie der „Sonne“?. Aber nein, mit einem phänomenalen 5:0
wird die „Kartause“ in der Schlußrunde von den Brettern gefegt.
Das muß, zusammen mit dem jetzt folgenden Mittagessen, erst ´mal
verdaut werden. Sind hier doch höhere Mächte im Spiel?
Mit bei allen Athleten optimal eingestelltem Flüssigkeitshaushalt beginnt
das Mannschaftsblitz nach Scheveninger System. Die „Kartause“ will
es noch einmal wissen und haut in Runde 1 einen 4:1 Sieg ´raus, hat damit
aber ihr Pulver fast schon wieder verschossen. Der Halbzeitstand von 15:10 für
die „Sonne“ läßt ein Debakel befürchten.
In der Rückrunde halten sich die Kartäuser dann aber wacker, so daß
die Niederlage mit 22:28 im Rahmen bleibt.
Während sich die Eifrigsten nun unverzüglich
auf den Weg zur Kartause Grünau machen, trösten sich andere vor der
Glotze mit der Erkenntnis, daß es Steffi - in Paris - auch nicht leicht
hat, am Ende aber doch noch siegt.
In der Kartause gilt es dann erst einmal Abstand vom Wettkampfstreß zu
gewinnen. Das gelingt erfahrungsgemäß am besten beim Kartenspielen.
Hier weicht der Druck aus den Kesseln, werden Gegner und Mitspieler je nach
Spielverlauf gelobt oder angeschnauzt. Die Doppelkopfrunde kommt diesmal allerdings
nur schleppend in Gang, da der Präsi und die beiden Jürgens dem konsternierten
Rudi in jedem zweiten Spiel eine weitere Sonderregel aus der Alt-Unterliederbacher
Kuriositätensammlung unterjubeln. Mehrfach kann der Geplagte nur mit Mühe
zum Weiterspielen überredet werden.
Nach den letztjährigen, teilweise schmerzvollen Erfahrungen bereitete der
Umgang mit dem Spezialdopingmittel Walnußschnaps diesmal keinerlei Probleme
mehr, so daß beide Mannschaften nach der Rückkehr von der Kartause
vollzählig zum Abendessen antreten können. Die Stimmung ist prächtig,
alle fiebern dem Blitzturnier als Höhepunkt des Tages entgegen - da verläßt
Ulli, leicht blaß um die Nase, trotz halbgefüllten Tellers die Tafel.
Kurz nach 22.00 Uhr, man sitzt wieder an den Brettern und wartet mehr oder weniger
kampftüchtig auf das Startkommando des Turnierleiters, fehlt der Mannschaftsführer
der Sonne immernoch. Droht hier zum ersten Mal eine vorzeitige Aufgabe? Hans-Peter
wird auf den mühseligen Weg zum Zimmer im 3. Stock geschickt, um letzte
Gewißheit zu erlangen. Das bange Warten währt allerdings nur kurz.
Noch etwas schlaftrunken, aber frisch gestärkt, stolpert Ulli ans Brett
und nimmt die neueste Skandinavische Geheimwaffe des völlig verdutzten
HWS auseinander. Jetzt weicht das Mitgefühl der unausgesprochenen Frage,
ob sich hier einer mittels Schlafpause einen unerlaubten Vorteil verschafft
hat. Sei´s drum, außer Ferdi kann keiner Ulli´s Siegeslauf
bremsen, so daß am Ende - nach einer zwischenzeitlichen Niederlage Ferdi´s
gegen das Rotkäppchen - an der Spitze Gleichstand herrscht.
Um 1.00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit beginnt der Stichkampf um Platz
1 im mörderischsten Blitzturnier Unterfrankens. Wieder einmal übertölpelt
Ferdi seinen Gegner schon in der Anfangsphase und fährt überzeugend
den ersten Punkt ein. In der zweiten Partie steht Ulli nach frevelhafter Eröffnungsbehandlung
erneut jenseits von Gut und Böse. Unserem Meisterspieler ist jedoch das
leicht zu erzwingende Remis zu banal und einen Moment geistiger Ermattung nutzt
Ulli zu einem „Lucky Punch“ - 1:1. Die Nachwirkungen dieser Keule
zeigen sich in der letzten Partie, die Ulli ungewohnt souverän gewinnt
und damit den Prestigekampf für sich entscheidet.
Was nun folgt oder besser gesagt nicht folgt, darf sich in dieser Form nicht
mehr wiederholen! Einer nach dem anderen verzieht sich unter Hinweis auf die
vorgerückte Stunde oder irgendwelche eingebildeten Wehwehchen in Richtung
Koje. Hier zeigt sich ein fataler Hang zur Bequemlichkeit. Nur der Präsi
und Rudi kommen ihrer Informationspflicht nach und unterhalten die Wirtsleute
Helma und Kurt - immerhin unser einziges Mitglied im Freistaat - mit Neuigkeiten
vom SC West. Mangels Unterstützung müssen aber auch diese letzten
Aufrechten lange vor dem Morgengrauen den Rückzug antreten.
Am Sonntagmorgen verhindert der Regen unseren traditionellen
Besuch der Wildsäue, was aber in Anbetracht des engen Turnierplans auch
seine Vorteile hat. Auf Vorschlag des Präsi´s, er hat wohl heimlich
geübt, wird nämlich zusätzlich „Fischer-Schach“ gespielt.
Zunächst steht aber die Blitz-Revanche an. Selten gelingt es dem Sieger
des Vorabends seinen Erfolg zu wiederholen, die Anforderungen sind einfach zu
unterschiedlich. Während samstags die (Theken-) Steher, die als Resultat
der freitäglichen Trainigseinheiten auch am Ende eines langen Tages noch
Leistung bringen können, im Vorteil sind, ist der Sonntag die Domäne
der Frühaufsteher, welche gewöhnlich schon während des Frühstücks
durch ihre penetrant gute Laune auffallen.
Ganz gegen die Regel gewinnt Ulli, mit nur einer Niederlage gegen Daddy, auch
die Revanche und setzt sich im Kampf um den Gesamtsieg weiter von seinem härtesten
Verfolger HWS ab. In der unteren Tabellenhälfte demonstriert Jürgen
der Kassierer - offensichtlich beschwingt durch den Erfolg, den größeren
Teil des Vereinsvermögens über den gestrigen Tag gerettet zu haben
- den etwas abgeschlafften „Jungspunden“ Hans-Peter und Markus,
was Morgenfrische ist und erklimmt Rang 6. Am Tabellenende beharken sich der
Älteste und der Jüngste im Feld unerbittlich - noch einmal siegt die
Routine.
Nach kurzer Verschnaufpause beginnt dann das „Fischer-Schach“-Turnier. Vor jeder Runde werden die Positionen aller Figuren auf der Grundreihe, für beide Farben getrennt, ausgelost. Nur die letzte Schamschwelle - das Verbot zweier gleichgeschlechtlicher Läufer - wird respektiert. Mitunter stellt sich trotzdem schon vor dem ersten Zug eine gewisse Beklemmung ein, wenn sich beispielsweise der eigene König allen feindlichen Schwerfiguren gegenübersieht oder einer Eckdame der gegnerische Läufer entgegengrinst.
Die Favoriten kommen aus dem Kreis der Schwindler, Hudler und Zeitnotpeitscher.
Vorneweg Jürgen R. und Ulli, Leute, die stil-und charakterlos die fragwürdigsten
Stellungen provozieren, nur um ihre Gegner zum Denken zu verleiten und sie dann
über die Zeit zu heben. Aber auch mittelspielstarke Zocker ohne oder mit
stark verengtem Eröffnungsrepertoire wie Rudi, HWS oder Hans-Peter sollten
hier, unbehindert von der Theorie, aufspielen können. Ferdi, als ausgewiesenem
Schachästheten, werden von vornherein nur Außenseiterchancen eingeräumt.
Die erste Runde beginnt gleich mit einem Knaller. Markus zerlegt unwiderstehlich Ulli´s „Stellung“, dessen Dame von a8 aus machtlos zusieht. Von diesem Sieg beflügelt sammelt Markus Punkt um Punkt, hart verfolgt von den Top-Favoriten, die langsam nervös werden. Bis zur letzten Runde hält er einen halben Punkt Vorsprung. In dieser trifft er auf Ferdi, der sich im Verlauf des Turniers zu oft, auf Kosten seines Blättchens, an seinen wundervoll exotischen Angriffsstellungen ergötzt hat und deswegen im Mittelfeld dümpelt. Zum Kummer von Markus ergibt die Auslosung auf Ferdi´s Seite eine durchaus schachähnliche Aufstellung, worauf der ihm, ohne sich in abenteuerlichen Varianten zu verlieren, nicht einmal das zum Sieg ausreichende Remis gönnt. Dadurch gewinnt Ulli auch noch dieses letzte Turnier der Schollbrunnserie.
Turnier 1 (
Schollbrunn-Mannschafts-Schnellschach, 08.06.96 ):
"Sonne" "Kartause" 1.Rd 2. 3. 4. gesamt
Bonnaire, U. : Niebling, F. 0:1 1:0 1:0 1:0 3:1
Schmitt, H.-W. : Bonnaire, R. 1:0 0:1 1:0 1:0 3:1
Birneder, H.-P. : Busche, M. 1:0 0:1 0:1 1:0 2:2
Ramerth, J. : Wienecke, J. 0:1 1:0 0:1 1:0 2:2
Dressler, D. : Koch, H. ½:½ 0:1 ½:1½
Andreas, W. : 1:0 1:0 2:0
Rundenergebnis 2½:2½ 2:3 3:2 5:0 12½:7½
Turnier 2 (
Schollbrunn-Mannschafts-Blitz, 08.06.96 ):
Hinrunde Rückrunde
"Sonne" : "Kartause" "Sonne" : "Kartause"
1. Runde 1 : 4 (1) 2 : 3 (1)
2. Runde (1) 5 : 0 (1) 4 : 1
3. Runde (1) 3 : 2 (1) 4 : 1
4. Runde (1) 3 : 2 2 : 3 (1)
5. Runde (1) 3 : 2 1 : 4 (1)
15 : 10 13 : 12
(4+1) : (1) (2+1) : (3)
Gesamtergebnis „Sonne“
- „Kartause“: 28 : 22 Brettpunkte
8 : 4 Mannschaftspunkte
Turnier 3 ( Schollbrunn-Mitternachts-Blitz, 08.06.96):
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 Pkt. Wertung Plz.
1. Bonnaire, U. X 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 9,0 1.
2. Niebling, F. 1 X 1 0 1 1 1 1 1 1 1 9,0 2.
3. Schmitt, H.-W. 0 0 X 1 1 1 1 = 1 1 1 7,5 3.
4. Bonnaire, R. 0 1 0 X 0 1 1 0 0 1 1 5,0 21,00 4.
5. Ramerth, J. 0 0 0 1 X 1 0 0 1 1 1 5,0 17,00 5.
6. Busche, M. 0 0 0 0 0 X 1 1 1 1 1 5,0 14,50 6.
7. Andreas, W. 0 0 0 0 1 0 X 1 1 1 1 5,0 14,50 7.
8. Birneder, H.-P. 0 0 = 1 1 0 0 X 1 0 1 4,5 8.
9. Wienecke, J. 0 0 0 1 0 0 0 0 X 1 1 3,0 9.
10. Koch, H. 0 0 0 0 0 0 0 1 0 X 0 1,0 4,50 10.
11. Dressler, D. 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 X 1,0 1,00 11.
Stichkampf um Platz 1: Bonnaire - Niebling 2:1
Turnier 4 ( Schollbrunn-Blitz-Revanche, 09.06.96):
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 Pkt. Wertung Plz.
1. Bonnaire, U. X 1 0 1 1 1 1 1 1 1 8,0 1.
2. Schmitt, H.-W. 0 X = = 1 1 1 1 1 1 7,0 2.
3. Bonnaire, R. 1 = X 0 0 1 1 1 1 1 6,5 22,50 3.
4. Niebling, F. 0 = 1 X 0 1 1 1 1 1 6,5 21,00 4.
5. Ramerth, J. 0 0 1 1 X 0 1 1 1 1 6,0 5.
6. Wienecke, J. 0 0 0 0 1 X 0 = 1 1 3,5 8,50 6.
7. Birneder, H.-P. 0 0 0 0 0 1 X = 1 1 3,5 6,00 7.
8. Busche, M. 0 0 0 0 0 = = X 1 1 3,0 8.
9. Koch, H. 0 0 0 0 0 0 0 0 X 1 1,0 9.
10. Dressler, D. 0 0 0 0 0 0 0 0 0 X 0,0 10.
Turnier 5 ( Schollbrunn-“Fischer-Schach“, 09.06.96):
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 Pkt. Wertung Plz.
1. Bonnaire, U. X 0 1 1 = 1 1 1 1 1 7,5 1.
2. Busche, M. 1 X 1 1 0 0 1 1 1 1 7,0 28,00 2.
3. Ramerth, J. 0 0 X 1 1 1 1 1 1 1 7,0 23,50 3.
4. Bonnaire, R. 0 0 0 X 1 1 1 1 1 1 6,0 4.
5. Niebling, F. = 1 0 0 X 0 1 1 1 1 5,5 5.
6. Schmitt,H.-W. 0 1 0 0 1 X 0 = 1 1 4,5 6.
7. Birneder, H.-P. 0 0 0 0 0 1 X 1 1 1 4,0 7.
8. Wienecke, J. 0 0 0 0 0 = 0 X 1 1 2,5 8.
9. Dressler, D. 0 0 0 0 0 0 0 0 X 1 1,0 9.
10. Koch, H. 0 0 0 0 0 0 0 0 0 X 0,0 10.
Das abschließende Mittagessen findet naturgemäß
in etwas gedämpfter Stimmung statt. Die Arbeit ist getan, die Kämpfer
sind ausgelaugt. Kaum einer weiß genau, was ihn zuhause erwartet. Die
Lieben daheim wissen es oft nicht zu würdigen - von Begeisterung ganz zu
schweigen - , welche Anstrengungen wir an einem solchen Wochenende im Trainingslager
auf uns nehmen, um auch in Zukunft unser hohes schachliches Niveau halten zu
können. Alle freuen sich jedenfalls auf Schollbrunn ´97, dann hoffentlich
mit Rekordbeteiligung!
Ulrich Bonnaire
Schollbrunn - Gesamtergebnis
Platz Name Mannschaftsturniere
Einzelturniere Gesamt-
Schnell Blitz Blitz Blitz Fischer punkte
T1 T2 T3 T4 T5 .
1. Bonnaire, U. 6 8 11 10 10 45
2. Schmitt, H.-W. 6 8 9 9 5 37
3. Ramerth, J. 4 8 7 6 8 33
4. Niebling, F. 2 4 10 7 6 29
5. Bonnaire, R. 2 4 8 8 7 29
6. Busche, M. 4 4 6 3 9 26
7. Birneder, H.-P. 4 8 4 4 4 24
8. Wienecke, J. 4 4 3 5 3 19
9. Andreas, W. 4 8 5 - - 17
10. Koch, H. 3 4 2 2 1 12
11. Dressler, D. 1 4 1 1 2 9
Bewertung
Turnier 1: Einzelpunkte je Spieler x 2
Turnier 2: Pro gewonnem Wettkampf 1 Punkt für Spieler der Siegermannschaft
Für Hin- und Rückrunde je 1 Punkt für Spieler der Siegermannschaft
Turnier 3: Platz 1 = 11 Punkte ... Platz 11 = 1 Punkt
Turnier 4,5: Platz 1 = 10 Punkte ... Platz 10 = 1 Punkt
Ulrich Bonnaire
(Quelle: Schabernack 6)